Es ist vollbracht!
Heute Abend konnte ich das beenden, was mich fast ein halbes Jahr lang Tag für tag begleitete. Die Geschichte von Alfred ist beendet. Jedoch war nicht ich es, der den Schluss schrieb, sondern die Geschichte selbst.
Das ist mein voller Ernst. Das Ende war völlig anders geplant, und entwickelte sich beim Schreiben in diese Richtung. Ich weiß nicht, was ihr davon haltet, ich weiß (noch) nicht, was es (für mich) bedeutet, aber ich weiß
- lacht mich für diese Formulierung aus
-
Es ist wundervoll.
Er drehte sich wieder zu dem Tor und legte seine Hand auf die Oberfläche. Unweigerlich lief ihm ein Schauer über den Rücken, denn das Gefühl an seiner Hand war irgendwie fremdartig. Das Material, das sicherlich eine Art Metall war, war unglaublich glatt, als wäre es eingeölt, doch an seinen Fingern blieben keine Rückstände zurück. Nur ein unangenehmes, schmieriges Gefühl, von dem sich nicht sagen ließ, ob es nur Einbildung war, oder tatsächlich von der Berührung kam. Auch konnte er jetzt wieder das seltsame Farbenspiel beobachten, dass er schon aus der Ferne bemerkt hatte.
Er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn er wurde von einem lauten Rumpeln von der Betrachtung seiner Hand losgerissen. Das Tor bewegte sich!
Mit dem metallischen Geräusch von schweren Zahnrädern, die in eine Eisenschiene griffen, bewegte es sich nach oben – allerdings sehr langsam. Zuerst konnte er erkennen, dass das Tor an seinem unteren Ende massive Schließzapfen hatte, die in geschlossenem Zustand gute zehn Zentimeter tief in den Boden griffen. Am oberen Ende verschwand es in der Decke, ohne, dass man zwischen dem weißen Beton und dem Metall des Tores einen Spalt hätte erkennen können.
Mittlerweile hatte sich der Abstand zwischen der Unterkante und dem Boden auf einen knappen Meter vergrößert, sodass Alfred in die Hocke ging, um sehen zu können, was dahinter lag. Der Anblick, der sich ihm darbot, war unglaublich. Ihn überkam die gleiche Atemlosigkeit und erdrückende Überwältigung, wie es beim Betreten des Treppenraumes der Fall gewesen war.
Zentimeter für Zentimeter enthüllte das hinauf gleitende Tor mehr von der surrealen Szenerie, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellte.
Ein gewaltiger, zylindrischer Schacht, dessen Durchmesser sicherlich mehrere hundert Meter betrug und in dessen Mitte ein dickes, tiefschwarzes Rohr stand. Es verlief senkrecht, jedoch konnte man weder ein Ende an einer Decke oder an einem Boden erkennen – wenn es denn überhaupt ein Ende des Schachtes gab. Zu diesem Rohr, was angesichts des gewaltigen Durchmessers dieses Raumes von Alfreds Standpunkt aus gesehen dünn erschien, führte ein im Schachbrettmuster gehaltener, schmaler Laufsteg, der ringförmig um das Rohr herum verlief. Am Ring, der seinerseits etwas breiter war, als der Steg selbst, zweigten drei weitere Stege ab, die jeweils im 90°-Winkel zu ihrem Nachbar standen, sodass von oben gesehen der Eindruck eines gigantischen, in der Mitte durchpfählten Kreuzes entstand.
Doch damit nicht genug: Als Alfred mit unsicheren Schritten und offen stehendem Mund wenige Meter auf den Steg hinaus trat, erkannte er, dass in einem Abstand von ungefähr zehn Metern über- und unter ihm ein weiteres Zugangskreuz zu dem Rohr führte – und über- sowie unterhalb dieser Ebene ein weiteres; ebenso darüber und darunter – optisch war kein Ende absehbar. Mit jeder Ebene war das Kreuz jedoch um einen stets gleich bleibenden Winkel gedreht, sodass der Eindruck einer gigantischen, vierfachen, sich selbst überlagernden Wendeltreppe entstand.
Zweifellos besaß der Schacht, dessen oberes Ende in einem unscharfen, unerreichbar hohen, weißen Nebel lag, während sich nach unten ein unsagbar tiefer, schwarzer Abgrund auftat, Millionen weitere Türen – vier auf jeder Ebene – die alle zu einem Ende eines Steges gehörten und die alle unvorstellbare Räumlichkeiten hinter ihrer monströsen, eisernen Präsenz bargen.
Alfred wurde schwindlig. Er hat seinen Irrweg durch diese unsäglichen, sterilen, weißen Hallen als einmalig eingestuft, hatte kaum die Dimensionen dieses Ortes erfassen können und gerade jetzt, wo es ihm gelungen war, die Unmöglichkeit des langen Ganges und des Treppenraumes zu akzeptieren, wurde ihm klar, dass all die von ihm durchquerten Räume nur ein Bruchteil des Komplexes darstellten, in dem er sich befand. Wie hatte er jemals an die Hoffnung glauben können, hier wieder herauszufinden?
Er richtete seinen Blick auf das Rohr, welches Ursprung dieses Brummens war, das ihn hier her geführt hatte. Der Schacht schien zu schwingen – eine unermessliche große Säule von Luft, die von einer gigantischen, schwarzen Klavierseite in Bewegung gesetzt wurde. Ihr Ton, so begann Alfred zu erahnen, war mehr als ein schnödes Brummen.
Wieso hatte er dies die ganze Zeit über nicht gehört? Hatten die Meter und Kilometer von Beton, die ihn von diesem Schacht getrennt hatten, das Geräusch etwa getrübt?
Ein bloßes Geräusch war es nicht, es war vielmehr ein Singsang, oder noch besser: Ein Chor.
Wie bei einem Radio, das langsam auf die richtige Frequenz eingestellt wird, sodass aus nervtötendem Rauschen plötzlich Musik wird, begann Alfred jetzt die Laute hinter dem Brummen zu hören. Sie machten ihm Angst, aber waren wunderschön zugleich.
So konnte er für Minuten – oder Stunden? – nur bewegungslos am Beginn dieses einen Steges stehen und den überirdischen Klängen lauschen, die diese steinerne Röhre gebar. Sie drangen durch die Ohren in seinen Kopf, bis in die letzten Winkel seines Gehirns. Für eine Weile unbestimmbarer Länge löschten sie jeden anderen Gedanken aus.
Sein Blick war auf das Rohr gerichtet, an dem der Steg endete.
Endlich begann sich die Starre zu lösen und als seine Gedanken wieder klarer wurden, strenge Alfred seine Augen an. War da nicht etwas, am Ende dieses Steges? Eine Kontur?
Der Umriss eines Menschen?
Er traute seinen Augen nicht, aber mit wachsender Erregung schien es ihm überdeutlich:
Am Ende dieses Steges wartete jemand auf ihn und winkte! Ein Mensch!
Alfred begann zu lachen und setzte sich in Bewegung. Gerade hörte er noch, wie sich hinter ihm das schwere, eiserne Tor schloss, doch dann übertönte sein eigenes, glücksseliges Lachen alles – außer dem Chor des schwarzen Rohres, der ihm jetzt weniger Angst machte, denn er verstand ihn nun noch besser.
Es waren keine Klänge, sondern Stimmen – Stimmen, die ihm zuriefen.
Komm.
Komm her.
Fürchte dich nicht. Das war erst der Anfang.
Nun rannte er, und unter seinen Füßen flog das schwarz-weiße Muster nur so dahin, während er sich immer schneller der Person annäherte die unablässig winkte.
Kurz bevor er sie erreichte, erkannte er auch, wer es war:
Der Mann im schwarzen Frack. Hätte er insgeheim nicht damit gerechnet, ihn noch einmal zu treffen?
Alfred lachte noch lauter, atemlos und hustend, denn nun begann er zu verstehen – auf einer unterbewussten Ebene.
Es war kein Verstehen, dass sich hätte in konkrete Worte fassen lassen, aber nichtsdestotrotz verschaffte es ihm eine Tiefe Befriedigung, die jeden Zweifel an der Richtigkeit dieses Verstehens im Keim erstickte.
Nun schien der Frackträger ebenfalls zu lächeln.
Endlich erreichte Alfred ihn und bemerkte dann, dass er vor einer kleinen, aus Lochblech gemachten Treppe mit gerade einmal drei Stufen stand, die direkt an das Rohr heranführte – und war geöffnet.
„Da sind sie ja endlich.“, begrüßte ihn Kleinwüchsige.
Alfred wusste nicht, was er sagen sollte. Mühsam rang er nach Worten, was den Mann im Frack sichtlich belustigte. Die Feindseligkeit, mit der er Alfred bei der letzten Begegnung angestarrt hatte, war verschwunden. Er atmete tief durch und fragte dann:
„Ist es vorbei?“
Der Mann hob sichtlich verwundert die Augenbrauen und erwiderte:
„Könnte es das denn jemals sein? Hören sie doch auf die Stimmen!“
Alfred lauschte dem Brummen, dass mittlerweile bei Weitem nicht mehr als solches zu bezeichnen war.
Deine Reise ist noch nicht zu Ende.
Das Tuch hat sich gehoben.. für einen Moment.
Du hast noch lange nicht alles gesehen
Er sah in die grünen Augen seines Gegenübers und sagte mit fester Stimme:
„Nein.“
„Sie beginnen zu verstehen, nicht wahr? Ich hoffe, sie sind bereit für das, was auf sie zukommt.“
Zu seinem eigenen Erstaunen flößten Alfred diese Worte keinerlei Angst ein. Seine Miene blieb ausdruckslos, was den Mann zu einer weiteren Äußerung veranlasste.
„Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Sandkorn an einem Strand, begraben von Millionen und Abermillionen anderer Sandkörner. Sie ahnen nichts von der Existenz des Lichtes, bis eines Tages jemand in den Sand tritt und Sie an die Oberfläche schleudert.
Sie sind geblendet, und können nicht verstehen, was passiert ist. Sie glauben, Sie sind für immer blind, aber nach und nach kehr das Augenlicht wieder zurück.
Und was müssen Sie erkennen? Sie liegen am Ufer eines Ozeans, und gerade im Moment der Erkenntnis kommt eine Welle und trägt Sie fort, in einem Element, dass Sie noch niemals zuvor gekannt haben. Nun, Sie sind das Sandkorn, ich bin die Welle und hinter mir liegt der Ozean.“
Mit diesen Worten trat der Mann bei Seite und wies mit der Hand auf das Abluftrohr, das eine beinahe mannsgroße, geöffnete Luke aufwies. Im Inneren des Rohres war eine Kapsel, gerade groß genug für eine Person und komplett mit Metall ausgekleidet. Sie füllte den Durchmesser des Rohres vollständig aus und war zu ungefähr einem Drittel ihres Umfanges geöffnet, was auch der Größe der Rohrluke entsprach.
Aus dem Boden ragte ein Schlauch, an dessen Ende eine pechschwarze Atemmaske befestigt war. Zusammengerollt, wie eine wartende Schlange, lag sie auf dem Grund der Kapsel.
An der Wand waren eiserne Klammern angebracht, zwei für die Arme, zwei für die Beine, die den Insassen festhalten würden. Dies war also das Ziel seiner Bestimmung.
Alfred setzte sich langsam in Bewegung, um in die Kapsel hinein zu steigen, doch hielt er auf der kleinen Treppe noch einmal inne und drehte sich zu dem Mann um.
„Werde ich sterben?“ Sollte diese Frage bejaht werden, würde er nicht zögern.
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Sie sind weiter vom Tod entfernt, als es je ein Mensch war. Sie können sich nicht vorstellen, was auf sie wartet. Nicht einmal ich kann es.“
„Gestatten Sie mir noch eine Frage: Wer sind Sie wirklich?“
Sein Gegenüber lächelte hintergründig und erwiderte belustigt:
„Ich sagte Ihnen doch, ich bin die Welle. Eine von vielen. Ich bin nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass Sie schwimmen können.“
Alfred nickte und stieg in die Kapsel. Er stellte sich bündig mit dem Rücken an die Wand und legte sich die Atemmaske an. Zwei Riemen mit Klettverschluss hielten sie an ihrem Platz. Durch sie würde nicht weniger als der volle Abluftdruck des sicherlich zwei Meter dicken Rohres strömen, welches seinerseits von jedem einzelnen in diesem unvorstellbar großen Komplex gespeist wurde. Was würde geschehen?
Unvorstellbar.
Mach die bereit!, flüsterten die Stimmen, die jetzt ganz nahe waren.
Entspanne dich…
Alfred atmete tief durch, was in der Maske ein zischendes Geräusch verursachte und legte seine Arme in die Aussparung der metallenen Halbkreise, die sich prompt um seine Arm- und Fußknöchel schlossen.
Der Mann stieg die ersten beiden Stufen der Treppe hinauf und rief zu ihm in die Kabine:
„Ich schließe jetzt die Tür. Gute Reise!“
Dann, mit nachdenklicher Miene:
„Sie haben sich gut geschlagen. Bis hierhin ist noch keiner gekommen.“
Bevor Alfred fragen konnte, was er für „Vorgänger“ gehabt haben sollte, oder was dieser Komplex eigentlich war, wurde die Luke des Rohres schwungvoll zugeschlagen.
Die Kapsel selbst besaß keine Tür, sodass er durch das Glas der Maske die Innenseite des Rohres sah.
Was würde geschehen?
Das wirst du gleich sehen.
Alfred hörte, wie es unter ihm rumpelte. Er schloss kurz die Augen. In seine Nase stieg eine unvorstellbar herrliche Note von Abluft, die alles bisher Gerochene in den Schatten stellte. Er stöhnte genussvoll auf.
Das ist nur ein Vorgeschmack, säuselten die Stimmen verheißungsvoll.
Plötzlich begann sich die Kapsel in Bewegung zu setzen und Alfred sah, dass sie nach oben fuhr. Mit der Bewegung wurde auch der Abluftstrom, der in die Maske geleitet wurde, stärker. Wohlige Schauer durchzuckten ihn.
Immer schneller stieg die Kapsel an, was er an der vorbeisausenden Struktur der Rohrinnenseite erkennen konnte. Diese wurde vom Licht der Kapsel erhellt, das sich unbemerkt eingeschaltet hatte. Woher es kam, konnte Alfred nicht erkennen, denn die Maske und die eisernen Fesseln schränkten seine Bewegungsfreiheit stark ein. Doch nach wie vor empfand er keinerlei Angst.
Der Druck, mit dem die köstliche Brise in die Maske schoss wurde noch größer, sodass er kurzzeitig Atemnot bekam, doch dies legte sich schnell. Er konnte sie inhalieren wie reinsten Sauerstoff, doch es war viel besser.
Ja, das ist es…
Bald ist es soweit.
Das Muster des Rohres verschwamm zu flimmernden Schlieren, so schnell war die Kapsel nun. Wovon wurde sie angetrieben? Unwichtig. Die Beschleunigung hätte Alfred zu Boden gedrückt, wäre er nicht an die Wand der Kapsel fixiert gewesen.
Und plötzlich schien von Oben ein Licht auf ihn herab, was unmöglich aus der Kapsel selbst entstammen konnte. Es hüllte ihn mehr und mehr ein, als hätte es die Beschaffenheit von Nebel.
Nur noch schwach konnte er das Rohr erkennen, was ihm einen Eindruck der unvorstellbaren Geschwindigkeit vermittelte, mit der er jetzt in Richtung eines Himmels schoss, von dem er nur Hoffen konnte, dass er vorhanden war.
Oh ja, drang es in sein schwächer werdendes Bewusstsein, einen Himmel, zu dem noch nie ein Mensch zuvor emporgeblickt hat.
Abluft explodierte in seinen Lungen, tanzende Lichter vor seinen Augen. Sein Herz raste und das Licht hüllte ihn noch weiter ein Vom Rohr und der Kapsel war nichts mehr zu sehen - er schoss einen weißen Tunnel empor, von einem gigantischen Druck angetrieben.
Ja!
Oh ja!
Es ist so weit!
In Extase riefen die Stimmen durcheinander und schwollen zu einem ohrenbetäubenden Chorus an, der eins mit dem Licht wurde und Alfred mehr und mehr einhüllte.
JA!JA!JA!
-ER KANN ES GLEICH SEHEN-
ER WIRD DER ERSTE SEIN, DER JEMALS-
-GESCHAFFT! ER HAT ES-
-GLEICH!
-JETZT
JETZT!!!
-
In einem hell beleuchteten Raum stehen einige in Weiß gekleidete Menschen über einen Operationstisch gebeugt.
Blutiges Operationsbesteck wird beiseite gelegt.
Der Körper auf dem Aluminiumtisch ist nur mit einem Papiertuchbedeckt. Die Schädeldecke ist geöffnet und eine Vielzahl von Schläuchen und Drähten führt zum pulsierenden Gehirn.
„Wie steht es um ihn?“, fragt einer der Männer.
Ein anderer blickt auf einen der Zahllosen Bildschirme, auf denen medizinische Diagramme verschiedenster Art flimmern.
„Nun“, erwidert er mit erregter Stimme, „das muss sich erst noch zeigen. Er ist der erste, den wir so weit haben. Schauen sie sich diese Alphawellen an. Wir können uns nicht ansatzweise vorstellen, was in seinem Hirn vor sich geht.“
„Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Visualisierung. Seine Augen sehen Dinge, von denen wir nicht zu träumen wagten. Hoffentlich kommt der Instruktor bald, damit-“
Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment fliegt die Tür des Raumes auf.
Ein kleinwüchsiger Mann mit schwarzem Frack und stechenden, grünen Augen tritt herein.
Sofort legen alle Anwesenden ihre Arbeit nieder und richten all ihre Aufmerksamkeit auf den Neuankömmling. Derjenige der Männer, dem soeben von seinem energischen Hineinstürmen unterbrochen wurde, tritt hervor und erhebt vorsichtig die Stimme.
„Instruktor? Was habt ihr mir zu berichten?“
Der Mann im Frack verzeiht den Mund zu einem triumphalen Grinsen, hebt die Hände und spricht:
„Meine Herren – wir hatten Erfolg! Nicht auszudenken, was uns verloren gegangen wäre, wenn wir ihn nicht in dieser Tiefgarage gefunden hätten! Ich hoffe doch, sein körperlicher zustand ist stabil. Folgen Sie mir in den Visualisierungsraum, dann können wir mit der Auswertung beginnen.“
Wortlos folgen ihm die Männer in Weiß, ohne zu ahnen, dass die Bilder, die direkt aus dem geöffneten Schädel hinter ihnen übertragen werden, ihr Schicksal für immer verändern wird.
Alfred schwebte.
Der Druck und das Emporsteigen hatten aufgehört. Er war sicher sehr, sehr lange bewusstlos gewesen. Er konnte seinen Körper spüren. Seinen Herzschlag. Seine Beine, Hände und Arme.
Er lebte.
Doch schwebte er wirklich?
Nein. Er lag. Nur war der Untergrund so weich und sanft, dass es ihm so vorgekommen war. Der Nebel vor seinen Augen lichtete sich und er setzte sich auf. Die Sicht war klar.
Mit einer kraftvollen Bewegung stellte Alfred sich auf die Beine, die sich fast kein bisschen wackelig anfühlten. Er hörte ein Rauschen und drehte sich um.
Hinter ihm war ein Ozean, über dem Wolken in unvorstellbaren Formationen schwebten. Eine Meeresbrise trug verheißungsvolle Düfte an ihn heran.
Er lächelte, denn jetzt begriff er ein weiteres Mal.
Er war das Sandkorn und seine wilde Reise durch den Ozean war nun beendet.
Er wendete den Blick wieder von dem Meer ab, dessen Wasser eine Farbe aufwies, die er noch nie zuvor gesehen hatte und begann über den Strand zu wandern.
In Richtung des Inlandes.
Am Horizont, dessen Färbung entfernt an das warme Gelb von Sonnenblumen erinnerte zeichnete sich die Silhouette einer Stadt ab – harmonische, angenehme Formen, die Leben verhießen. Und Erlösung.
Der Sand unter seinen Füßen war beinahe durchsichtig. Er reflektierte ein helles Sonnenlicht, doch als Alfred zum Himmel aufblickte, erkannte er, dass es drei Sonnen waren, die diesem Ort ihr Licht spendeten
Dann richtete er wieder seinen Blick auf die Stadt, wo er hingelangen wollte – sie war, so begreift er mit einem Mal, schon seit jeher sein Ziel gewesen, ohne dass er es gewusst hat. Was würde ihn dort erwarten? Er beschleunigte seine Schritte.
Doch das Gehen erschien ihm nicht als angebracht, um dieses erste Abenteuer seines neuen Lebens zu beginnen. Er sah an sich herab, blickte dann ein weiteres Mal zum wundervollen Dreigestirn der Sonnen und hob dann vom Erdboden ab.
Eine noch nie gekannte Freude durchströmte ihn, während er schneller und schneller auf die Silhouette am Horizont zuschoss. Unter ihm wechselte die Umgebung von Strand zu sanften Hügeln, die von paradiesischer Vegetation gekrönt waren.
„FREI!“, jubelte er, „ENDLICH FREI!“
Er wiederholte diese Worte wieder und wieder, denn sie waren die einzig richtigen, um diesen ersten Morgen in einer neuen Welt zu begrüßen, die ihm zu Füßen gelegt worden war.