Vor dem Gewitter
Mit dem Aufkommen eines kühlen Windes zog sich der Himmel zu – graue Wolken versperrten die Sicht auf die grelle Sonne, die nur noch als blendend weißer Fleck hinter dem formlosen Schiefer erkennbar war. Die Blätter rundherum raschelten aufgeregt, als sie von dem stärker werdenden, feuchtklammen Luftzug mitgerissen wurden.
Der Kies am Ufer des Sees knirschte unter meinen nackten Füßen und ich konnte fühlen, wie der kalte Luftzug meinen Schweiß trocknete. Langsam begannen das Zittern und die Hektik.
Auch der See selbst – bis vor wenigen Minuten noch eine ruhige, grüngraue Linse – schien sich in seine Mitte zurückzuziehen. Wellen kräuselten sich am Ufer und leckten über die weißen, großen Kiesel und erzeugten dabei ein seltsames Geräusch, das mich ein klein wenig an das Zischeln statischer Elektrizität erinnerte – eine Elektrizität, die förmlich in der Luft zu liegen schien und die dafür sorgte, dass meine Nackenhaare sich aufstellten.
Insgeheim wusste ich, dass hier kein normales Gewitter aufzog.
Der Kies knirschte unter meinen Füßen und das Geräusch bereitete mir beinahe eine deutlich fühlbare Übelkeit – ein mahlendes Geräusch wie von blanken Zähnen die im Krampf aufeinanderreiben. Zähne, die mir jeden Moment in die Füße beißen könnten und mich hier festhalten würden, am See, der sich kräuselte, der zusehends aufschäumte und sich immer mehr in seine eigene Mitte zurückzog. Der See beobachtete mich.
Das gleißende Weiß war verschwunden, denn die Sonne hatte sich abgewandt. Die Wolkendecke hatte nun die Farbe eines dunklen Blutergusses angenommen – ich bezweifelte, dass sie sich je wieder teilen würde. Unheilvoll flackerte es in der Ferne, weit weg, aber unaufhaltsam näherkommend. Gegen die Wolken, deren Farbe mir in den Augen auf unerklärliche Weise Schmerzen bereitete, zeichneten sich die Baumwipfel ab – wie in Trance sah ich mit an, wie ein einzelnes Ahornblatt durch den Wind von seinem Ast gerissen wurde und nach oben getragen wurde – einen unendlich lange andauernden Augenblick verharrte es in der Luft, auf dem Scheitelpunkt seines Fluges, und zeichnete sich als tödlich scharfer Scherenschnitt gegen die Wolkendecke ab. Dann begann es zu fallen, und mit ihm fiel der erste Tropen, direkt auf mein gegen den Himmel emporgerecktes Gesicht.
Wie eine Ohrfeige peitschte mir dieser einzelne Tropfen zählen, kalten Wassers auf die Haut, wo er augenblicklich zu Eis gefror. Der nächste folge – auf meinen Arm – und auf ihn der nächste und der nächste. Der See begann zu kochen, als wollte er sich bereit machen, um die herabstürzenden Massen in sich aufzunehmen. Nur Sekunden später flammte der erste Blitz auf und tauchte die weißen Kiesel um mich herum in blendende Schwärze. Ich erstarrte, fühlte die sich ausbreitende Nässe auf der Haut und roch den mineralischen Geruch der feuchten Kiesel, der mir die fatale Erkenntnis brachte: Ich war zu spät, denn mit dem Regen würde mich auch jeden Moment der Donner einholen.
Die Strafe kam.